Gedenkrede

Schülersprecher Malte Herkenrath hielt für unsere Schule eine nachdenkliche Rede auf der städtischen Gedenkfeier zur Reichspogromnacht 1938, die bedenkenswerte Parallelen zu aktuellen rechtsradikalen Tendenzen aufzeigte. Neben Malte steht Bürgermeister Erik Lierenfeld.

 

Etwa 150 Menschen kamen am Samstag, 09.11., zur städtischen Gedenkfeier auf den jüdischen Friedhof an der Krefelder Straße. Hanni Paschek-Dahl, die Tochter von Irene Dahl, die von den Nazis in ein Konzentrationslager verschleppt wurde, las sehr ergreifende Passagen aus dem Tagebuch ihrer Mutter vor. Frau Paschek-Dahl stellt uns dieses Tagebuch freundlicherweise als pdf.Datei zur Verfügung. Herzlichen Dank!

Ansprachen gab es des Weiteren von Bürgermeister Erik Lierenfeld sowie Uwe Schunder, dem Vorsitzenden des Dormagener Partnervereins. Das Bettina-von-Arnim-Gymnasium war mit einem Filmvortrag sowie einer Lesung vertreten; für die Realschule Hackenbroich spielte Schülersprecher Johannes May das musikalische Thema des Films Schindlers Liste auf der Gitarre. 

Malte Herkenraths Rede zur Feier der Stadt Dormagen 2019 anlässlich der Reichspogromnacht 1938:

Die Geschehnisse der Reichsprogromnacht jähren sich nun zum 81. Mal. Bei der Konfrontation mit dieser Thematik stellt sich mir stets die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass ein Weltbild an die Macht kam, welches offen Minderheiten diskriminierte, demütigte und ihrer Existenz beraubte. Warum sich die Deutschen nicht entschieden gegen die Täter wehrten, sondern diese sogar unterstützten. Und ob sich diese Geschehnisse nach all dieser Zeit noch einmal wiederholen könnten, oder ob wir aus der Vergangenheit gelernt haben.

Mit Blick auf die Geschehnisse der letzten Monate bin ich zu der Auffassung gekommen, dass es leider noch immer zu viele Menschen gibt, die nicht aus der Geschichte gelernt haben. Schaue man sich einfach mal die Landtagswahl in Thüringen an, bei der die AfD und Björn Höcke große Wahlerfolge einfahren konnten. Doch leider kam es zudem vor einem Monat zu einem weitaus dramatischeren Beispiel, welches zeigt, dass noch immer rechtsradikales Gedankengut in Deutschland vorhanden ist: Am 9. Oktober um 12:00 stand Stephan B. am „Jom Kippur“, dem höchsten jüdischen Feiertag, vor der Synagoge in Halle. Auf seinem Helm trägt er eine Kamera, die 36 Minuten lang sein Sichtfenster filmen wird. In seinem Gepäck befinden sich automatische Schusswaffen, Munition und Sprengsätze mit denen er versucht, in die gefüllte Synagoge einzudringen und dort ein Blutbad anzurichten. Zwar scheiterte dies, doch erschoss Stephan B. innerhalb der nächsten 15 Minuten wahllos 2 Menschen. Es waren Zufallsopfer. Die ersten, die sich unwissentlich in sein Schussfeld begaben. Nach einem Schusswechsel mit der Polizei, der Bedrohung und schweren Verwundung eines älteren Ehepaares und der Flucht mit einem gestohlenen Taxi, konnte er schließlich nach 1 1/2 Stunden gestellt und festgenommen werden.

Diese Gewalttat zeigt, dass Stephan B. ein Weltbild vertritt, dem Fremdenfeindlichkeit, Hass und Gewaltbereitschaft zugrunde liegen. Zwar wird Stephan B. als Einzeltäter dargestellt, doch seine Radikalität entwickelte sich im Kontakt mit rechtsextremen Gruppen. Gruppen wie diese sind mittlerweile nicht nur im Osten, sondern auch in ganz Deutschland aktiv, beeinflussen beispielsweise Menschen im Ruhrgebiet, die sich vom zunehmenden Migrantenanteil bedroht fühlen und nehmen Jugendliche und junge Erwachsene durch Polarisierung und Polemik für sich ein.

Die Landtagswahl in Thüringen kürzlich zeigte letzteres äußerst prägnant: Wählten noch die über 60 Jährigen, also jene, die das NS-Regime und seine Auswirkungen noch am ehesten selbst erlebt hatten, überwiegend die Linke, um das Erstarken rechter Kräfte zu bremsen, ließ sich scheinbar ein großer Teil der unter 25 Jährigen beeinflussen, da hier die Wählerschaft der Linken und der AfD gleich stark ausgeprägt waren. Dass rechte Gruppen und Parteien nun scheinbar wieder in bestimmten Kreisen salonfähig sind und Politiker, welche offen rechte Positionen vertreten, im Bundestag und in Landesregierungen sitzen, ist schlichtweg erschreckend und bereitet mir große Sorgen vor dem, was noch kommen wird. Darum ist es genau jetzt wichtig zu handeln und sich entschieden gegen rechte Gruppen zu stellen. Wir müssen durch Aufklärung und kritische Kommentierung den Sog dieser Gruppen und Parteien unterbrechen und den Dialog mit denen aufbauen, die aufgrund von Existenzängsten diesem Sog verfallen sind; um eine Wiederholung der Geschehnisse der Reichspogromnacht zu verhindern und eine Zukunft des friedlichen Miteinanders, des Dialogs und der Sorgenfreiheit für Minderheiten zu schaffen. 

Text: Malte Herkenrath; Redaktion: Axel Frieling