Rollen & ihre Darsteller
Akt 1
Der Autor
- Lena Sopha
- Niklas Odendahl
- Berfin Cicek
- Pri Yan Rama Divrik
Akt 2
Alfredo Traps
- Niklas Odendahl
Kurt Zorn / Staatsanwalt
- Pri Yan Rama Divrik
Herr Berge / Richter
- Linus Rudolph
Herr Kummer / Rechtsanwalt
- Ulf Heyer (Literaturkurs 2021/2022)
Herr Pilet / Henker
- Kenan Ahmetagic
Simone / Haushälterin
- Berfin Cicek
Souffleuse (Aufführung)
- Lena Sopha
Probensouffleusen
- Rousel Omar
- Berfin Cicek
Maske
- Lena Sopha
- Berfin Cicek
- Fabienne Linnenbrink (Jg. 11)
- Maya Wegener (Jg. 11)
Licht
- Jenna Tokarek
Ton
- Linus Rudolph
Regie
u. Gesamtleitung
- Stefan-Georg Schnorr
„Aus der Renaissance. Um Knochen zu brechen. Also das ist das Zimmer für die zum Tode Verurteilten. Daneben das für die zu lebenslänglichem Zuchthaus Verurteilten.“
Zum Inhalt
Jede Inhaltsangabe des Stückes würde die Spannung aus dem Stück nehmen. Worum geht es also? Um ein bißchen Leidenschaft, ein bißchen Verbrechen und viel Pupille. Höhere Werte sollen geliefert werden.
Der Aufführung, besonders dem 2. Akt, zu folgen, ist absolut ohne Inhaltsangabe zu jeder Zeit problemlos möglich.
Zum 1. Akt ist anzumerken, dass sich hier sozusagen Dürrenmatt selbst als Autor zu Wort meldet. Er tut das kreisend um die Thematiken Schreiben, Literatur und Dramatik. Ihn beschäftigt die Frage, welche Stoffe die Welt in Zukunft noch bereit zu halten vermag. Es gibt Vorgriffe auf den 2. Akt. Dieser 1. Akt dauert knapp 10 Minuten.
Betrachten Sie ihn als kurze Ouvertüre. Ein thematisches Feuerwerk, wo nicht jede Rakete bei Ihnen sofort zünden muss.
Keine Pause
Spielzeit: ca. 90 Minuten
Essay
„Eine pensionierte Gerechtigkeit“
Dürrenmatt, so schrieb es unlängst ein Rezensent zur Aufführung des Literaturkurses, sei so etwas wie der favorisierte Autor des Literaturkurses an dieser Schule. Das ist in einem gewissen Sinne nicht falsch, in einem anderen aber auch irreführend. So wären zahlreiche Eigenproduktionen zu nennen (u.a. „Bolschewistopoly“, „derRing“, „Culture of Course“,, „Madhouse“,„schein(t)heilig“, „www.wastewatcherworld“ oder „waterloo“) und Werke, die von anderen Autoren stammen (u.a. „Bonjour. Könnten wir bitte beim Text bleiben“, Faustspiel“, „Retina“ oder „Rheingold“). Noch wichtiger aber erscheint mir ein anderer Zusammenhang. Dürrenmatt hat sich, mit unterschiedlichen Konjunkturen, zu einer Art exemplarischem Autor des Theaters im Deutschunterricht entwickelt. Immer wieder, aktuell bis in diese Schuljahr hinein, verfolgen einen „Die Physiker“. Und das zweite Stück, das sozusagen exemplarische Karriere im Deutschunterricht gemacht hat, ist „Der Besuch der alten Dame“.
Bis heute wurden „Die Physiker“ hier nicht gespielt. Im Schuljahr 2014/2015 kam es zu einer Inszenierung vom „Besuch der alten Dame“ durch mich und im Schuljahr 1993/1994 durch meinen Kollegen Harald Bialké (†). Es war das einzige Jahr, an dem es zwei Literaturkurse an dieser Schule gab und es waren die ersten Literaturkurse überhaupt. Ich entschied mich damals parallel zu meinem Kollegen nicht für Dürrenmatt, sondern für den „Belagerungszustand“ von Albert Camus.
Die Faszination auslösende Begegnung mit Dürrenmatt, welche, sorry, übliche Zeigefingermoral hinter sich zu lassen versprach, entzündete sich vom Ende seines Werkes her. Entzündete sich an „Achterloo“ - seinem letzten Bühnenwerk. „Achterloo“ steht stellvertretend für das gleichsam abseitigere und exzentrischere Werk und markiert dabei selbst dessen Höhepunkt. Dieser Teil hat immer mehr interessiert als jener, den die Lehrpläne in den Vordergrund geschoben haben. Eine der bemerkenswerteren Arbeiten von Dürrenmatt in diesem Sinne sind sicherlich „Romulus“ (2016/2017) oder „Ein Engel kommt nach Babylon“ (2015/2016). Und hier nun läßt sich auch nahtlos das diesjährige Projekt des Literaturkurses andocken: „Die Panne“.
Über Genregrenzen hinweg ist dieses Werk aus den 50er Jahren von Dürrenmatt selbst immer wieder bearbeitet worden. Dürrenmatt war ein sehr cleverer Selbstvermarkter und „Die Panne“ ist ein Musterbeispiel dafür. Sie existiert einmal als Hörspiel, einmal als Fernsehspiel und einmal als Komödie. Und jedesmal mit einem anderen Schluß! Wir haben uns aus dieser Anzahl von Möglichkeiten sozusagen eine eigene Version extrahiert und dabei, selbstredend, Einiges mit Blick auf unsere eigenen Gegebenheiten zugeschnitten - behutsam. Und auch wollten wir nicht auf den ersten Akt verzichten. Sicherlich ist der zum Verständnis des zweiten Aktes scheinbar völlig unerheblich, andererseits aber geradezu exemplarisch für Dürrenmatts Stil und Gedankenwelt, heute würde man wohl sagen, typisch für das Framing seines eigenen Werkes.
Nun gibt es durchaus noch andere - oder: berufenere - Stimmen im Literaturbetrieb, als die nun folgende. Aber es lässt aufhorchen, wenn Marcel Reich-Ranicki, ehemaliger Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, ‚enfant terrible‘ des literarischen Quartetts (ZDF), Thomas-Mann-Enthusiast und Überlebender der Jahre der Verfolgung, „Die Panne“ von Dürrenmatt zu dessen bedeutendsten Werk erklärt!
Man sollte nicht vordergründig mutmaßen, warum, beziehungsweise, warum nicht. Es zählt zu den Qualitätsmerkmalen von Reich-Ranicki, Urteile ex cathedra zu fällen und damit unmissverständlich Position zu beziehen. Kein wolkiges Wortgeklingel, sondern eine Position, sich manifestierend im Unverrückbaren und Unnachgiebigen, immer ausgewiesen, begründet und angereichert durch konkrete Lebenserfahrung. Nur so kann der Leser, oder der Theaterbesucher, sich reiben, auch aufreiben.
Für unseren Fall reicht es schon aus, darauf hinzuweisen, dass Dürrenmatt die Thematik von Schuld und Gerechtigkeit gerade in ihrem changierenden Wesen entfaltet. Wer weiß schon, was Gerechtigkeit ist, was Schuld bedeutet? Wer sie verkörpert, wo sie zu finden sind? Wenn die Antwort so einfach wäre, könnten die rechtsphilosophischen Seminare schließen. Oder begnügen wir uns demnächst vielleicht schon mit der richtigen Emotion, Erregung?
Nicht ganz unähnlich steht es mit dem Gericht, dem Gerichtsverfahren, jenem Prozess, den wir zum Katalysator von Gerechtigkeitsfindung erhoben haben. Das Kneten von Fakten, Vermutungen, Indizien, Beweisen suggeriert eine Unwiderstehlichkeit von Echtem, Wahrem, Geschehenem, unzweifelhaft Beobachtbaren. Und jeder, der das liest, weiß sofort, wie brüchig diese Vorstellung gleichzeitig ist. Gericht zu halten, ist einerseits zwar eine zivilisatorische Errungenschaft. Andererseits aber auch und gerade eine Art Imitation. Eine Simulation von Götterurteilen und Gottesurteil. Zivilisation lehnt sich hier an, schmückt sich mit einer Unzweifelhaftigkeit, die der Mensch zu liefern nicht in der Lage ist. Das war das große Versprechen unserer Zivilisation, unseres Rechtsstaates: Den ‚Fels‘ in einer zivilisatorischen Emulation erblicken, anzielen und angestrengt erarbeiten zu wollen.
Und doch bleibt ein Rest. In der Diesseitigkeit lauern Leidenschaft, Mißtrauen, Konkurrenzsucht, Irrtümer, Fehlurteile oder Klassenjustiz, eben ideologische Gerichtsbarkeit. Und wir sollten nicht den Fehler machen, dass dies nur Beschreibungen unserer sinistren Vergangenheit sind, die nichts mit dem Hier und Heute zu tun haben. Das theatralische Moment des Gerichtsverfahrens, das funktionalistisch Verschiedene, das Getrennte der streitenden Parteien sowie der Ermessensspielraum einerseits und das Klare und Strikte andererseits bei den Anwendung von Gesetzten, vermögen das Festgefügte zerfließen zu lassen.
Durch Sitzordnung und besonders Kleiderordnung wird im Gericht bis heute auf einem Accessoire bestanden, das die Moderne an anderern Stellen schon längst als atavistischen Überhang ausgemustert hat. Die Rede soll von den aus der Kirche verschwundenen Soutanen der Priester und den aus der Universität verschwundenen Talaren der Professoren sein. Nur im Gericht leistet man sich auch heute noch den schwarzen Habit. Und wenn es besonders wichtig wird, nicht nur in einfachem schlichtem Schwarz, sondern in besonderem, kardinalem (!), Rot. Letzteres so im Bundesverfassungsgericht.
Könnte es, so will es scheinen, sein, dass unser Recht sich das letzte Quäntchen von unverrückbarer Stabilität und Legitimität aus dem Bereich des Symbolischen zu entlehnen gezwungen sieht? Jedenfalls fällt auf, dass der Katholizismus ohne Soutane seine Akzeptanz nicht steigern, ja nicht einmal den Status Quo erhalten konnte. Und im Falle der Universität ist festzustellen, daß ihre Entwicklung eher in Richtung eines universitären Bildungsdesasters weist. Die „pensionierte Gerechtigkeit“ von der der Richter spricht, ist, worauf er ausdrücklich hinweist, nicht nur eine Gerechtigkeit, die ohne Gesetze und ohne Paragraphen auskommt. Sondern sie ist eben auch eine Gerechtigkeit, die ohne die Symbolik des Gerichts auskommt. Das Private erscheint hier als Kehrseite des Symbolischen, mithin das Symbolische als Transzendierung des Privaten. Wenn Gerechtigkeit ins Private, in das potentiell Subjektive entglitten ist, kann davon ausgegangen werden, daß vorher Symbole abgelegt, ausgelagert oder bewußt dekonstruiert wurden. Müssen wir uns im Jahr 2023 die Frage stellen, ob wir gerade miterleben, wie das Moment der Groteske als solches geschliffen wird?
Die Zufälligkeit jeder Persönlichkeit eines Richters ist dem Postulat der Überparteilichkeit diametral entgegengesetzt. Der Versuch, dieser Quadratur des Zirkels zu entfliehen, ist Kern fast aller rechtsphilosophischen Kontroversen. Das ist die Situation, die ein Erscheinen vor Gericht prinzipiell in demselben Licht erscheinen lässt, wie die Scheinwerfer den Spieler auf der Bühne. Entweder der Lichtkegel erfasst einen oder nicht. Entweder man wird verurteilt oder nicht. In dem Theaterstück „Die Panne“ wird darauf hingewiesen, dass der entscheidende qualitative Unterschied zu der staatlichen Gerichtsbarkeit die Wiedereinführung der Todesstrafe ist. Nur, wenn es im Gericht wirklich um etwas geht, geht es auch um etwas! Hier, so könnte man vermuten, hat auch Reich-Ranicki angesetzt. Sein Leben war über Jahre ein Ernstfall zwischen Leben und Tod. Ein Ernstfall, dem er nur mit Hilfe theatralischen Wissens entrinnen konnte. Aber das wäre eine eigene Geschichte.
Dürrenmatt spielt immer wieder mit Namen und Begriffen, schöpft sie, etikettiert mit ihnen. Schauen wir uns das Panoptikum der Panne an. Einmal auf dieser Spur erschließt sich sofort, warum der Staatsanwalt Herr Zorn oder der Rechtsanwalt Herr Kummer heißen. Und Herr Berge, seines Zeichens pensionierter Richter und Besitzer jener Villa, die Pension Suchenden Zuflucht bietet, läßt uns „Herberge“ assoziieren. Herr Traps? Nun, „trap“ heißt im Englischen „Falle“! Herr Pilet? Das „pilum“, lateinisch, bezeichnet den Wurfspieß eines römischen Legionärs.
Wenn denn aber tatsächlich alles so einfach wäre! Vielleicht verwundert Sie der Name Zorn für einen Staatsanwalt nicht. Aber würden Sie sich auch als Betroffener einen zornigen Staatsanwalt wünschen? Stellen Sie sich den Rechtsstreit vor, bei dem es um viel geht, und Sie sich bewusst für einen schwermütigen Geist als Verteidiger entscheiden. Wie wahrscheinlich ist das? Umschwirrt von Anglizismen ziehen Sie womöglich bei Traps wie selbstverständlich das englische Wort für Falle in Betracht. Vermutlich, weil Sie nicht wissen - und die meisten von uns gar nicht wissen können - dass es auch als ‚bernische‘ Formulierung (Bern, Schweiz) aufgefasst werden kann, wo es lediglich soviel bedeutet wie ‚in eine Situation hinein zu geraten‘. Allein schon bei Dürrenmatts Eigennamen umfängt uns jene Mehrdeutigkeit, Uneindeutigkeit und Zweifelhaftigkeit, von der oben bereits die Rede war.
Das alles ist typisch Dürrenmatt und zeigt uns, dass Namen und Situationen mehr als nur Schall und Rauch sind. Sie sind potentiell auf ihre Gefährdungssubstanz hin zu befragen. Besonders an zwei Stellen wird dies ausgesprochen und kann Relevanz auch für uns heute haben. Der letzte Vorwurf des Richters gilt im Grunde der Schlechtigkeit des Charakters des Angeklagten. Und die letzte Verteidigungsbastion des Verteidigers gilt der Schlechtigkeit der Gesellschaft. Wenn das Schlechte des Menschen nichts anderes spiegelt als das Schlechte seiner Umgebung, dann ist der Mensch nichts anderes als das Produkt seiner Umgebung. Wünschen wir uns deshalb also den Menschen als das Produkt einer potentiell erträumten, ersehnten, idealiter konstruierten Gesellschaft?
Die einen werden das beklatschen.
Die anderen die Hände über dem Kopf zusammenschlagen.
Viel Spannung & Vergnügen!
Rückblick
kcilbkcüR
Was war vor 10 Jahren?
Was war vor 20 Jahren?
Programmheft (DIN-A 4, 16seitig)
Mi., 23.7.2003,19.30 Uhr, Bürgerhaus (Mensa) - Fr., 25.7.2003., 20.00 Uhr, Theaterscheune Knechtsteden - Fr., 25.7.2003,19.30, Uhr Bürgerhaus (Mensa)
Rückblick
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